Beziehungskompetenz: Superskill für Führungskräfte

Stefanie Hornung
Juli 2025

Viele Veränderungen kommen, egal, ob Mitarbeitende mitziehen oder nicht. Aber durch Druck und Angst entsteht keine Hochleistung, und schon gar keine Innovation. Wie können Führungskräfte also so führen, dass Menschen Wandel aktiv mitgestalten wollen? Die Antwort liegt in Beziehungskompetenz. Die gute Nachricht: Sie lässt sich lernen.

Stellen wir uns vor, ein Unternehmen steht vor einem fundamentalen Umbruch. Das bisherige Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr, das Hauptprodukt der Firma wird durch energiesparende und effizientere Technologien verdrängt. Diese Entwicklung war absehbar, kam aber schneller als gedacht. Ohne radikale Umstrukturierungen wird es nicht gehen – mit Folgen für viele Mitarbeitende. Sie müssen sich weiterbilden, umschulen oder anderswo einen passenden Arbeitsplatz finden. Darauf reagieren Beschäftigte ganz unterschiedlich. Während die einen die Veränderung mit Begeisterung umarmen, sind andere vor Angst wie gelähmt oder gehen in den Widerstand.

Gelernte Reaktionsmuster der Veränderungsresistenz 

Woher rühren diese unterschiedlichen Reaktionsmuster im Umgang mit Veränderung? Ein Erklärungsansatz steckt in dem neuroaffektiven Beziehungsmodell NARM von Laurence Heller und Brad J. Kammer. Die beiden Psychotherapeuten nennen fünf universelle Grundbedürfnisse: nach Kontakt, Wahrnehmung der eigenen Person, Vertrauen, Autonomie sowie Liebe und Sexualität. Werden diese in der Kindheit teilweise oder ganz vernachlässigt, entstehen sogenannte Bindungstraumata. Dabei muss es sich nicht um schwere Fälle kindlicher Vernachlässigung handeln. Das kann schon dann passieren, wenn Eltern nicht anwesend und aufmerksam genug sind oder wenn sie emotional überfordert sind. 

Die Folge: Betroffene entwickeln Überlebensstrategien, die oft unbewusst bis ins Erwachsenenalter nachwirken. Dabei handelt es sich keinesfalls um pathologische Verhaltensmuster, sondern um sinnvolle Anpassungsmechanismen an schwierige Erfahrungen in der Zeit des Heranwachsens. Diese unbewussten Verhaltensmuster beeinflussen jedoch auch später, wie Menschen auf Emotionen, Bindung und Stress reagieren – wie Trauma-Erfahrungen durch Unfälle und Schicksalsschläge, nur subtiler. 

Diese unbewussten Strategien wirken sich auch auf den Umgang mit Veränderung in der Arbeitswelt aus. Werden frühere Bindungserfahrungen in Veränderungsprozessen getriggert, können Scham und Angst aufbrechen – alte Überlebensstrategien greifen wieder. Das NARM-Modell ist speziell darauf ausgelegt zu verstehen, wie vergangene Erfahrungen die aktuellen verzerren – und zwar zum Negativen. Selbst wenn Menschen einsehen, dass Veränderung notwendig ist, erleben sie diese oft als Gefahr, Risiko und Verlust von Sicherheit. Manche fühlen sich von der Vielzahl der gleichzeitigen Neuerungen überfordert. Sie befürchten, dass sie nicht schnell genug mitkommen, weil sie die nötigen Fähigkeiten noch nicht haben oder sich nicht zutrauen, sie zu erlernen. Sie ziehen die Möglichkeit in Betracht, dass sie für alle sichtbar versagen. Kommen dann noch erste Schwierigkeiten beim Üben neuer Routinen hinzu, wollen sie schnell zurück in die Vergangenheit.

Hebel für Veränderungsbereitschaft

Glaubt man dem Modell der Changekurve von BWL-Professors Richard K. Streich, die er auf Grundlage der Arbeiten der Psychiaterin Elisabeth Kübler-Ross entwickelte, verläuft Veränderung immer ähnlich: Auf anfänglichen Schock und Ablehnung folgt irgendwann rationale und emotionale Akzeptanz, was Lernen, Erkenntnis und schließlich Integration der Veränderung ermöglicht. Der Faktor Zeit und die Möglichkeit, Veränderung nicht als Schicksal, sondern als gestaltbare Chance zu betrachten, spielen dabei eine große Rolle. 

Otto Scharmer lenkte mit seiner Theorie U den Fokus hingegen vor allem auf die Beziehungsebene der beteiligten Akteure. Der Senior Lecturer und Forscher am MIT betont in seiner Arbeit die Bedeutung von Beziehungsfähigkeit als zentrale Kompetenz für Führungskräfte. Er meinte damit die Fähigkeit, tiefere und authentischere Verbindungen zu anderen Menschen herstellen zu können. Häufig ist die Art der Beziehung und der Kommunikation ein Zeichen dafür, wie der Inhalt von Veränderung zu verstehen ist. Scharmer geht davon aus, dass erst durch gute Beziehungen Vertrauen und ein kreativer Co-Creation-Prozess zur Gestaltung von Veränderung möglich wird.

Wenn sich bestehende Strukturen, Prozesse und Aufgabenprofile verändern, suchen Mitarbeitende eine neue Form der Sicherheit: in der Beziehung zur Führungskraft. Erleben sie das Unternehmen als Haifischbecken, wo jeder selbst schauen muss, wo er oder sie bleibt, kann sich mögliche Veränderungsresistenz verstärken. Ist die Beziehung zur Führungskraft hingegen stabil, trauen sich Mitarbeitende eher, Neues auszuprobieren – auch wenn sie dabei stark gefordert sind. Interessenskonflikte schafft das nicht aus der Welt, aber wer sie artikulieren kann, hat mehr Raum für Emotionen und konstruktive Lösungen.   

Definition von Beziehungskompetenz

Folgt man dieser Argumentation, lässt sich folgende Definition festhalten: Beziehungskompetenz ist die Fähigkeit, mit anderen in Verbindung zu bleiben, auch wenn man deren Standpunkt oder Haltung nicht teilt.

Damit Führungskräfte derartige Verbindungen schaffen können, müssen verschiedene Facetten zusammenkommen. Beziehungskompetenz ist eine Art Superskill, das weitere Kompetenzen wie Multiperspektivität und Empathiefähigkeit umfasst. 

Den nötigen Lernprozess für Beziehungskompetenz beschreibt Otto Scharmer mithilfe von vier Ebenen des Zuhörens: 

1.     Downloading: Dies ist der automatische und oft unbewusste Prozess, bei dem wir auf vertraute Muster und Gewohnheiten zurückgreifen, um Entscheidungen zu treffen oder auf Situationen zu reagieren. Es ist eine Art „Autopilot“, bei dem wir uns auf bestehendes Wissen und Erfahrungen stützen, ohne tief darüber nachzudenken. Hier gilt: Nur die eigene Perspektive ist wahr. 

2.     Seeing: Auf dieser Ebene beginnen wir, unsere eigenen Annahmen und Überzeugungen zu hinterfragen. Wir öffnen uns für neue Perspektiven und erkennen, dass unsere Sichtweise nur eine von vielen ist. Dies erfordert eine gewisse Distanzierung von unseren bisherigen Denkmustern. Hier gilt: Wir sind rational verbunden, Logik und Wissen zählt. 

3.     Sensing: Nun geht es darum, sich mit dem inneren Selbst und eigenen Bedürfnissen zu verbinden. Es ist ein Zustand des Eintauchens in das soziale Feld, um die zugrunde liegenden Muster und Dynamiken zu erkennen, die Veränderungen verhindern oder fördern können. Dafür braucht es Multiperspektivität und Empathie. Hier gilt: Wir sind emotional und rational verbunden – mit Herz und Verstand. 

4.     Presencing: Wenn auf allen Ebenen authentische Beziehungen entstehen – im Verhältnis des Individuums zu sich selbst, im Team, der Organisation sowie dem Gesamtsystem oder der Gesellschaft –, kann ein co-kreativer Prozess starten. Individuen und Gruppen können gemeinsam handeln und neue Realitäten gestalten, die auf einem tieferen Verständnis und einer gemeinsamen Vision basieren. Hier gilt: Andere nehmen meine Ideen auf und wir bearbeiten sie gemeinsam. 

Beziehungskompetenz lernen: Starte mit Dir selbst!

Gute Führung beginnt generell immer bei der Führungskraft selbst, indem sie sich besser kennenlernt. Das hilft nicht nur dabei, Klarheit über die eigenen Werte und Ziele zu gewinnen – und für das eigene Team eine inspirierende Vision zu entwickeln. Durch die Verbindung mit sich selbst können Führungskräfte in der Regel auch besser mit Unsicherheiten und Herausforderungen in Veränderungsprozessen umgehen. Sie fallen weniger leicht in eigene Schutzmechanismen, können ihre eigenen Annahmen, Vorurteile und Muster erkennen. Dies ist der erste Schritt, um zu verstehen, wie innere Zustände ihr Handeln und ihre Entscheidungen beeinflussen. Dann gelingt es erfahrungsgemäß leichter, Veränderungsresistenz Einzelner nicht als gegen sich persönlich gerichtet zu verstehen, sondern eben als Selbstschutzreaktion. Wer das erkennt, landet nicht automatisch in einer Reiz-Reaktions-Spirale, in der man sich gegenseitig triggert und sich Konflikte anheizen. 

Führungskräfte müssen dafür lernen, mit sich selbst in Kontakt zu kommen – zum Beispiel in Mindful-Leadership-Trainings. Am imu augsburg haben wir ein Format entwickelt, in dem die Teilnehmenden in vier Schritten jeweils in 2-Tages-Modulen das Bewusstsein für die eigenen Gedanken, Gefühle und Überzeugungen schärfen können. 

1. Physische Präsenz: Die Teilnehmenden üben, ihre Körperempfindungen bewusst wahrzunehmen und in herausfordernden Situationen ruhig und ausgeglichen zu bleiben. Das Gespür für den eigenen Körper dient als Grundlage für Stabilität, innere Ruhe und Handlungsfreiheit. Eine konkrete Übung ist beispielsweise „die Gazelle“, eine Schüttel-Übung aus dem Chi Gong, die dabei hilft, Spannungen loszulassen und neue Energie zu wecken. Und so geht’s: Man stellt sich hüftbreit hin, lockert die Knie und schüttelt den ganzen Körper sanft durch – vom Kopf bis zu den Füßen. Wichtig ist, die Arme, Schultern und Kiefer dabei locker zu lassen und tief ein und auszuatmen. 

2. Mentale Klarheit: Im zweiten Modul beschäftigten sich die Teilnehmenden mit ihren Gedanken und Überzeugungen. Sie lernen sie zu beobachten und zu hinterfragen. So können sie hinderliche Muster und Glaubenssätze entdecken und sie schrittweise durch förderlichere ersetzen. Dafür reflektieren die Teilnehmenden, welche Werte ihnen in der Arbeitswelt wichtig sind – und wie diese mit ihrer persönlichen Geschichte zusammenhängen. Auf dieser Grundlage setzen sie sich mit ihren aktuellen Herausforderungen auseinander und loten mögliche Handlungs- und Entscheidungsalternativen aus. Eine einfache Übung zum Einstieg ist das „Gedankenetikettieren“: Man beobachtet für einige Minuten die aktuellen Gedanken und findet Überschriften für auftauchende Inhalte. Hierdurch kann man sehen, welche Themen einen gerade beschäftigen und gleichzeitig durch das Ettiketieren den Gedankenstrom stoppen. Durch ein anschließendes Kümmern der gesammelten Überschriften lässt sich der innerliche Druck reduzieren. 

3. Emotionale Intelligenz: Im dritten Modul lernen die Teilnehmenden, ihre Haltung und die der anderen bewusst mitzubekommen, bevor sie sich in Verhalten ausdrückt. Nun geht es darum, eigene Bedürfnisse, Gefühle und Emotionen wahrzunehmen und authentisch zu kommunizieren. Das kann hilfreich sein, um Konflikte konstruktiv zu lösen und vertrauensvolle Beziehungen aufzubauen – innerhalb von Teams und Organisationen wie auch im privaten Umfeld. Eine konkrete Übung: Man versucht wahrzunehmen, wie aktuell der Erfüllungsgrad der eigenen Bedürfnisse ist, welche Gefühle dies triggert und wie man über welches Verhalten für die Erfüllung der Bedürfnisse sorgen könnte.

4. Intuitive Offenheit: Im abschließenden vierten Modul üben die Führungskräfte Kreativität und Intuition bei der Entscheidungsfindung – insbesondere im Umgang mit Neuem. Spielerisch und ohne Druck können sie ihren eigenen Weg in die Intuition durch verschiedene Übungen und Tools (wieder-)entdecken. Eine Beispielübung, bei der die vierte Ebene des Zuhörens von Otto Scharmer – das Presencing – eine Rolle spielt: Die Teilnehmenden tauchen mit einer konkreten Fragestellung tief in den gegenwärtigen Moment ein. Diese Technik kann neue Antwortimpulse kreieren, die mit einem rein mentalen Denkprozess nicht erreichbar wären. 


Transfer der Selbstbeziehung: Die Rolle der Co-Regulation

Wie können Führungskräfte nun die gestärkte Selbstbeziehung nutzen und ihre Beziehungskompetenz in der täglichen Zusammenarbeit in ihrem Team einsetzen? Das Ideal ist eine Art Co-Regulation: Mitarbeitende haben in ihrer Führungskraft ein Gegenüber, vor dem sie Sorgen und Ängste nicht verstecken müssen. Beziehungskompetenz heißt nicht, die Verhaltensmuster der Mitarbeitenden zu bearbeiten oder an Menschen herumzudoktern. Oder sie auf rationaler Ebene mit Argumenten zu beschießen. Vielmehr zielt Beziehungsfähigkeit darauf ab, psychologische Sicherheit zu fördern.

Zudem kann man in der Arbeit mit anderen nur das erkennen, was man selbst erlebt oder reflektiert hat. Häufig haben Beschäftigte im Zuge der Digitalisierung zum Beispiel Angst, dass sich ihr soziales Umfeld verändert, wenn manche Personen nicht mehr zur aktuellen Agenda, neuen Aufgaben oder nötigen Kompetenzen passen. Arbeitsabläufe wandeln sich, Teams lösen sich auf und setzen sich anders zusammen. Etwas endet, aber Führungskräfte können ein neues Wir-Gefühl und Zugehörigkeit unterstützen: in kleinen Lerngruppen, durch Mentorship oder Lerntandems von Jung und Alt. 

Der erste Schritt zur Unterstützung in der Transformation besteht darin, dass Führungskräfte überhaupt mitkriegen, wenn jemand in den Widerstand geht. Sie können in Beziehung bleiben, indem sie nachfragen und zuhören. Wo sie vorher womöglich schnell logische Argumente parat hatten, überlegen sie sich nun stärker, warum die Argumente nicht ankommen und welche Sorgen und Ziele bei Mitarbeitenden dahinterstecken. Ein Raum, um Fragen zu stellen und Bedenken anzusprechen, kann Blockaden auflösen helfen. Diesen können Führungskräfte leichter aufbauen und halten, wenn sie in Selbstwahrnehmung geübt sind. Solche Räume müssen keine großangelegten Formate oder Veranstaltungen sein – oft genügen wenige Minuten, die Führungskräfte Mitarbeitenden regelmäßig schenken. Laufende Kommunikation in kleinen Schritten lässt Mitarbeitenden zudem Zeit Veränderungen zu verarbeiten und den nächsten Schritt offen mitzugehen.

Workshopmethoden in den Alltag bringen

Vieles, was Führungskräfte in Workshops lernen – Methoden, Übungen und Formate, können im Unternehmensalltag jedoch leicht untergehen. Der wohl schwierigste Schritt besteht darin, nicht in alte Muster zu verfallen und auch in stressigen Situationen das neu Gelernte weiter zu üben. Denn in der Realität sind Veränderungsprozesse in Organisationen oft chaotisch und von Unsicherheiten geprägt. 

So etwa bei der Kfz-Innung Schwaben: Die Organisation nahm einen Generationenwechsel unter den Mitarbeitenden zum Anlass, eine neue Führungsstruktur aufzubauen – mit dem Ziel, agiler und flexibler zu werden und sich stärker zu digitalisieren. In einem Workshop des Transformationsnetzwerks ZUKUNFTmobilarbeiteten die Teamleads an ihrem Zukunftsbild, aber auch an ihrer laufenden Kommunikation und Meetingstruktur. Da ein wöchentliches Treffen oft nicht ausreicht, um alle Informationen auszutauschen, vereinbarten sie Formate wie Themenwochen, Briefkasten für Mitarbeitende (Stimmungsbarometer), Redeslots für alle (quartalsweise), Live Meeting-Notes, Zusammenfassungen der Inhalte der Teamleitungsrunde auf Teams und Informationsmeetings für Mitarbeitende. Zudem versuchen die Teilnehmenden in Meetings ganzheitlicher auf Probleme schauen – mit gelernten Tools und Denkmodellen aus dem Workshop. 

Dabei ist klar: Punktuell eingesetzte Lernformate genügen nicht. Führungskräfte müssen Gelerntes auch anwenden. Co-Regulation findet nicht nur zwischen einzelnen Beschäftigten und der zuständigen Führungskraft statt, sondern auch in Teams unter Peers und der gesamten Organisation. Intuitive Offenheit und Co-Creation gelingt umso besser, umso mehr Führungskräfte über ein hohes Maß an Beziehungskompetenz verfügen und sich darin gegenseitig verstärken. Und das ist ein fortlaufender Prozess.